Einheitlichkeit und Klarheit sind Eckpfeiler einer guten Übersetzung. Aus diesem Grund haben viele Unternehmen und Organisationen ihre eigene Terminologie. Doch was passiert, wenn ein Übersetzer einen bestimmten Begriff unpassend findet? Wo liegt die Grenze zwischen sprachlicher Vollkommenheit und Dienstleistung? Lesen Sie weiter, um herauszufinden, wann Glossare strikt eingehalten werden sollten – und wann Einwand berechtigt ist.
Kund*innen haben immer Recht?
Es scheint ziemlich eindeutig: Wenn Kund*innen ein Glossar bereitstellen, wollen sie, dass es benutzt wird. Idealerweise macht vorgegebene Terminologie das Leben einer Übersetzerin leichter. Sie sorgt für Klarheit, senkt die Wahrscheinlichkeit, dass Schlüsselbegriffe eines Textes nur mittelmäßig übersetzt werden, und minimiert Kopfzerbrechen bei Mehrdeutigkeiten.
Wenn es um Dinge geht wie Abteilungsbezeichnungen, Jobtitel und Beschreibungen von Schlüsselprodukten oder -dienstleistungen, sollte die im Glossar angegebene Terminologie sicherlich strikt angewendet werden. Nur in absoluten Ausnahmefällen sollte man eine Abweichung in Erwägung ziehen.
Allerdings ist Sprache sehr oft uneindeutig und kontextabhängig; genau dann kann auch sehr sorgfältig vorbereitete Terminologie problematisch werden. Ein Beispiel bildet das Wort “Standort”. Viele Glossare sehen hier die Übersetzung als “Location” vor, doch es gibt durchaus Situationen, in denen eher „Site“ sinnvoll wäre. Manchmal ist auch „Facility“ (zu Deutsch Einrichtung) oder „Branch“ (zu Deutsch Filliale) passender.
Es wird auch schwierig, wenn manche Begriffe naheliegende zielsprachliche Entsprechungen haben, die nur in bestimmten Gebieten Verwendung finden. „Kompetenz“ ist ein solcher Begriff: Viele Institutionen bestehen auf „Competence“ als Übersetzung, auch wenn einige Muttersprachler*innen instinktiv eher „Skill“ gewählt hätten.
Was sollten Übersetzer*innen in so einem Fall machen? Sollten sie etwas sagen oder den Begriff durchwinken?
Warum “suboptimale” Terminologie sinnvoll sein kann
Gute Übersetzer*innen müssen stets die richtige Balance finden zwischen ihren sprachlichen Pflichten und ihren Verpflichtungen als Dienstleistende. Manchmal gehört es also dazu, persönliche Präferenzen in den Hintergrund zu stellen und Verständnis zu haben für eine pragmatischere Herangehensweise.
In den meisten Fällen, in denen ein Auftraggeber eine bevorzugte Übersetzung für einen Begriff wie „Standort“ hat, erfüllt der vorgegebene Begriff seinen Zweck – auch wenn die Übersetzerin ein anderes Wort eleganter oder natürlicher findet. Das gilt auch für das Beispiel „Competence”. Das Wort klingt für Muttersprachler*innen zunächst etwas befremdlich, ist aber weniger verkehrt als man meinen könnte. Forschungsergebnisse zeigen, dass dieser Begriff in manchen Bereichen, wie in der europäischen Erwachsenenbildung, eine zunehmend etablierte und akzeptierte Bezeichnung ist.
Bei Terminologie gilt: Verständlichkeit voran!
Das führt uns zu einem wichtigen Punkt: Es gibt eine Tendenz zu global verständlichen Konzepten. Trotz Protest von einigen Sprachpurist*innen hat die Verwendung einheitlicher Übersetzungen für bestimmte Kernbegriffe klare Vorteile. Auch kann es sinnvoll sein, Übersetzungen zu wählen, die in verschiedenen Sprachen ähnlich sind. In Bereichen wie Bildung und Forschung, bei denen internationale Netzwerke entscheidend sind, oder für Unternehmen, die sich mit Akteuren in anderen Ländern austauschen müssen, erleichtert standardisierte, unveränderte und zugängliche Terminologie die Kommunikation. Das soll nicht heißen, dass die Fähigkeiten (bzw. Kompetenzen) guter Übersetzer*innen nicht von Nöten sind, doch an manchen Stellen ist Eingreifen nicht sinnvoll.
Terminologie, die wirklich problematisch ist, sollte unter die Lupe genommen und möglicherweise geändert werden. Übersetzer*innen müssen aber stets die oben angesprochenen Faktoren sowie die Zielgruppe in Erwägung ziehen. Manchmal ist das Verständnis der Leserschaft wichtiger als der sprachliche Feinschliff.
Für Übersetzer*innen gilt also, von literarischen Übersetzungen mal abgesehen, dass sie primär Dienstleistende sind. Auch wenn vorgegebene Terminologie den persönlichen Geschmack mancher Übersetzer*innen nicht trifft, müssen die Wünsche der Kund*innen immer berücksichtigt werden.
(N.B., 2021)
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